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Bauvorhaben am ehemaligen deutschen Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A in Zgorzelec

Bauvorhaben am ehemaligen deutschen Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A in Zgorzelec

„Durch dieses Lager gingen, in ihm lebten und litten zehntausende Kriegsgefangene”.

Das Gelände des ehemaligen Stalag VIII A ist in unserer Stadt ein Ort von besonderer Bedeutung. 

Aus diesem Grund sollten wir heute zeigen, dass uns folgende Tatsache nicht gleichgültig ist: ein Ort, an dem viele Tausende von Menschen litten, kann aus dem Stadtraum und nach einiger Zeit auch aus unserem Gedächtnis ausgelöscht werden.

Wir glauben, dass dieser Ort zur Erinnerung für die zukünftigen Generationen erhalten bleiben sollte. An dieser Stelle sollte ein Gedenkpark entstehen und die Überreste der Infrastruktur sollten erhalten bleiben. Außerdem sollten entsprechende Informationen in mehreren Sprachen als Aufklärung für die Besucher über das ehemalige Lager dienen und gleichzeitig ein gutes Zeugnis für diejenigen ablegen, die dieses tragische Erbe übernommen haben d. h. alle Bewohner des heutigen Görlitz und Zgorzelec. 

Das Stalag VIII A, ein Kriegsgefangenenlager für Mannschaften und Unteroffiziere, wurde seit September 1939 von den ersten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs, polnischen Soldaten, errichtet, die damals in riesigen Zelten im Durchgangslager, dem sogenannten Dulag, untergebracht waren, das sich im nordöstlichen Teil der Stadt befand (an einer Stelle, an der sich bis vor kurzem ein Real-Supermarkt befand). 

Im Dezember 1939 wurden die ersten Kriegsgefangenen in die Baracken einquartiert, die Arbeiten am Ausbau des Lagers gingen aber weiter. Im Juni desselben Jahres trafen dann Transporte mit französischen und belgischen Kriegsgefangenen im Lager ein. Im Frühjahr 1941 kamen jugoslawische Kriegsgefangene ins Stalag und ab Januar 1942 trafen immer mehr Transporte mit sowjetischen Kriegsgefangenen ein. Im Herbst 1943 kamen britische Kriegsgefangene ins Stalag VIII A, die aus Lagern in Italien hierher verlegt wurden. Es war eine Reaktion auf den Beitritt Italiens zur antifaschistischen Koalition. Dann wurde das Stalag VIII A zum Ort der Gefangenschaft für über 6.000 italienische Soldaten. Ende 1944 wurden 37 Soldaten der Polnischen Heimatarmee, die im Warschauer Aufstand kämpften, aus Lambinowice hierher verlegt. Die letzten Kriegsgefangenen waren slowakische Aufständische und Amerikaner, die aus anderen Lagern hierher transportiert wurden.

Das eigentliche Lager war von einem doppelten Stacheldrahtzaun umgeben und in zwei Teile geteilt – einen für sowjetische und italienische Kriegsgefangene, den anderen für westliche Kriegsgefangene und Jugoslawen. Neben den Wohnbaracken im Bereich der Alliierten gab es auch Baracken für andere Zwecke, die für den Betrieb des Lagers notwendig waren. 

Es wird geschätzt, dass in den Jahren 1939-1945 etwa 120 Tausend Gefangene verschiedener Nationalitäten aus 11 Armeen durch das Stalag gingen. Aufgrund der fehlenden  Dokumentation ist es nicht möglich, die genaue Anzahl der Todesfälle anzugeben. Man geht davon aus, dass über 10.000 Menschen im Stalag ihr Leben verloren, die meisten von ihnen waren sowjetische Kriegsgefangene.

Nach der Befreiung geriet das ehemalige Stalag aus verschiedenen Gründen in Vergessenheit und auf seinem Gelände wuchs ein Wald. Oft wurde hier Müll abgeladen. Übrig blieben die Fundamente von Baracken und Überreste der Infrastruktur, die niemandem etwas nützen konnten. 

In den 1990er Jahren wurde das Lagergelände an die lokalen Selbstverwaltungen übergeben. Der ehemalige sowjetisch-italienische Teil wurde von der Gemeinde und der alliierte Teil von der Stadt Zgorzelec übernommen. Als Anfang der 2000er der Neu-Görlitzer und Gründer des Vereins Meetingpoint Music Messiaen e.V., motiviert von der Entdeckung des Entstehungsortes des bekannten „Quartett auf das Ende der Zeit“ von O. Messiaen, mit den polnischen Selbstverwaltungen, ins Gespräch kam, auf dem Stalag Gelände eine Gedenkstätte mit Begegnungscharakter einzurichten, übergab die Gemeinde einen Teil des Geländes an die Stiftung Erinnerung, Bildung, Kultur und stellte der Stiftung den restlichen Teil für satzungsgemäße Zwecke zur Verfügung. Auf diesem Gelände entstand das Europäische Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur, in deutsch-polnischer Zusammenarbeit mithilfe von EU-Mitteln und Unterstützung der lokalen Verwaltungen auf deutscher und polnischer Seite gebaut wurde.

Im Jahr 2020 wurde ein Teil des Geländes vom ehemaligen Lager, der der Stadt Zgorzelec gehört, für den Bau von Einfamilienhäusern verkauft. Bei den ersten Arbeiten, die mit der Vorbereitung des Geländes für den Bau verbunden waren, wurden viele Fundamente, Flugabwehrbefestigungen und Gegenstände freigelegt, die die Anwesenheit von Kriegsgefangenen an diesem Ort belegen. Die Information über diese Investition bewegte die öffentliche Meinung in Polen, sie wurde auch in mehreren europäischen Ländern kritisch behandelt, aus denen die Häftlinge kamen.

Als deutscher Verein arbeiten wir seit 2006 mit unseren polnischen und europäischen Partnern an der Erhaltung der Gedenkstätte und an der Vermittlung der Geschichte. Über die Jahre haben sich etwa 5.000 junge Menschen aktiv an der Pflege und Weiterentwicklung der Gedenkstätte beteiligt und jährlich besuchen etwa 6.000 Menschen aus aller Welt, darunter Familien der ehemaligen Gefangenen die Gedenkstätte.

Wir sind der Auffassung, dass dieser Teil des Geländes unbedingt archäologisch untersucht werden muss, da sich dort noch sehr viele Spuren der Kriegsgefangenen und des ehemaligen Lagers befinden, die von hoher Bedeutung für unsere Arbeit aber auch für die Familien der Kriegsgefangenen aus aller Welt sowie für die Forschung sind und dass die Stiftung und der Verein als Partner in diesen Prozess einbezogen werden, damit die Ergebnisse dieser Untersuchungen in der aktiven Arbeit der Gedenkstätte einfließen können und so für die Nachwelt erhalten bleiben.

Wir möchten die Bürger:innen der Stadt Görlitz und Zgorzelec über die derzeitigen Vorgänge informieren und aktivieren, da dieses Lager und seine Geschichte ein wichtiger Teil unserer Stadtgeschichte und unserer gemeinsamen europäischen Geschichte sowie ein internationaler Begegnungs- und Lernort ist, der niemals vergessen werden darf. Das Interesse und die Unterstützung aus dem Ausland, der Kriegsgefangenenverbände sowie Familien der Kriegsgefangenen und auch der ehemaligen Teilnehmenden unserer Jugendprojekte bestätigt dies.

 

 

Fotos: Dorota Tyniec